Ein Finanzdienstleister rekrutiert seine Führungskräfte fast ausschließlich aus den eigenen Reihen. Mit der Potenzialanalyse wurde zunächst ein Verfahren eingeführt, mit dem unternehmensweit einheitliche Anforderungen an Nachwuchsführungskräfte gestellt wurden. Nachdem das Instrument implementiert und von Führungskräften, Mitarbeitern und Betriebsräten mit getragen wurde, entstand die Erkenntnis, dass die Nachwuchskandidaten besser auf das Potenzialverfahren und ihre spätere Führungsrolle vorbereitet werden sollten. Nach und nach wurden weitere Elemente ergänzt, es entstand ein Nachwuchsförderprozess mit aufeinander aufbauenden Bausteinen, bei dem die Selbstreflexion und das selbstorganisierte Lernen der Kandidaten im Vordergrund standen. Jeder Kandidat sollte mit Hilfe verschiedener Beratungsangebote und Hilfestellungen zum führungsnahen, alltagbezogenen Lernen für sich selbst klären, ob Führung die richtige Karriereoption ist und welche Entwicklungsfelder er auf diesem Weg zu bearbeiten hat.
Ergebnis war ein Prozess aus 6 Bausteinen:
Baustein 1: Mitarbeitergespräch
Besprechen Sie die Zielsetzung und Ihre Motivation im Rahmen eines Mitarbeitergespräches. Nutzen Sie dabei ein Rollen- oder Anforderungsprofil für Führung, um bisher gezeigte, führungsbezogene Stärken und Talente einzuschätzen. Ziel ist es, für den weiteren Entwicklungsweg eine gute Basis zu schaffen.
Baustein 2: Orientierungsseminar
In einem zweitägigen Seminar bekommen die Nachwuchskräfte die Chance, ihr Führungsverständnis und ihre Führungsmotivation zu vertiefen und zu überprüfen. Sie bekommen umfangreiche Informationen zu den Aufgaben und Anforderungen an Führung. Anhand von Übungen reflektieren sie in der Gruppe, was es bedeutet, Führungskraft zu sein. Insbesondere der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen bietet die Chance, sein eigenes Führungsmotiv zu ergründen.
Baustein 3: Reflexionsgespräch
Dieser dritte Baustein ermöglicht eine erste, persönliche Standortbestimmung. Das Gespräch wird vom Personalbereich geführt. Eingeladen ist auch der Vorgesetzte der Nachwuchskraft, um bei der Standortbestimmung mitzuwirken und seine Rolle als Personalentwickler wahrzunehmen. Der Mitarbeiter bereitet eine kleine Selbstpräsentation zu seiner Führungsmotivation, seinem Führungsverständnis und seinen führungsnahen Erfahrungen vor und vertieft dies anhand von selbstreflektorischen Fragen im anschließenden Interview. Anschließend werden – initiiert durch ein Feedback des Personalers und der Führungskraft - Selbst- und Fremdbild einander gegenüber gestellt werden. Es wird darüber beraten, welche Klärungsfragen und welche Entwicklungsthemen der Mitarbeiter in der Folgezeit bearbeiten sollte.
Baustein 4: Entwicklungszeit
Entwicklungszeit bedeutet, dass die Nachwuchskräfte ihren Arbeitsalltag nutzen, um gezielt führungsnahe Erfahrungen zu sammeln und um ihr Selbstbild zu differenzieren. Unternehmensspezifische Fördermaßnahmen (Mentoring, Fördernetzwerk, Hospitationen, Projektverantwortung, …) können diese wichtige Phase flankieren, um das Verhaltenslernen und das Netzwerken zu unterstützen. Die Nachwuchskräfte sollten aber bereits hier in der Selbstführung gefordert sein und ihre Entwicklung selbst gestalten und verantworten. Der Weg in die Führung sollte nicht durch eine programmatische Versorgung fehlgeleitet werden.
Baustein 5: Potenzialgespräch
Das Potenzialgespräch ist der bedeutendste Meilenstein im gesamten Entwicklungsprozess. Es ist ein wichtiger Gradmesser, ob die Nachwuchskraft für eine Führungsaufgabe grundsätzlich gut vorbereitet ist und über die grundlegenden Fähigkeiten verfügt, um sich auf eine Führungsfunktion bewerben zu können. Das Potenzialgespräch ist ein multimodales Interview mit Verhaltensaufgaben inkl. einer Befragung der Führungskraft. Im Feedbackgespräch wird anhand eines Gutachtens das Stärken-Schwächen-Profil erläutert und eine Gesamteinschätzung vorgenommen, ob eine Führungskarriere derzeit zu empfehlen ist oder nicht.
Wichtige Potenzialkriterien für Führung, die in einem solchen Baustein valide geprüft werden sollten, sind z.B.:
- Motivation: Die Bereitschaft, sich zu engagieren und Veränderungen als Chance zu sehen, steht hier im Fokus.
- Analyse- und Organisationsfähigkeit: Dazu zählen die Auffassungsgabe und analytisches Denkvermögen.
- Souveränität: Gemeint ist die richtige Balance zwischen Selbstbewusstsein und Selbstkritik.
- Soziale Orientierung: Wichtige Stichworte sind hier Empathie, Wertschätzung und Beziehungsorientierung.
- Kommunikation: Führung erfordert eine dialogische Grundhaltung und eine authentische Körpersprache.
- Konfliktfähigkeit: Wer führen will, muss sich klar positionieren können aber auch Interessen ausgleichen.
- Führungsverständnis: Ein reflektiertes Führungsmotiv und Bild von Führung wird vom Nachwuchs erwartet.
- Verantwortungsbereitschaft: Dazu gehört Entscheidungsbereitschaft und übergreifendes Denken.
Baustein 6: Resümee und Nachbereitung
Der Mitarbeiter sollte zunächst das Feedback „verdauen“ und verarbeiten und seine eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Es geht darum, seine beruflichen Ziele ohne Scheuklappen zu überprüfen und sich darüber klar zu werden, welche Entwicklungen und weitere Entwicklungszeit notwendig sind, um in eine Führungsrolle hinein zu wachsen. In einem Nachbereitungsgespräch mit der Führungskraft sollte diesbezüglich eine gemeinsame Linie gefunden werden.
Der weitere Entwicklungsprozess sollte dann durch den Personalbereich begleitet und mit maßgeschneiderten Angeboten im Sinne des Talent Managements „unterfüttert“ werden.